Gestaltung und Intuition

 

Es kommt immer wieder vor, daß ich bei der Gestaltung eines Baumes ratlos bin. Ich mache mir Gedanken, sehe den Baum immer wieder an und versuche, mir eine Form für ihn vorzustellen. Doch manchmal ist das alles vergeblich - die Idee für den nächsten Gestaltungsschritt will nicht kommen und alles Nachdenken nutzt nichts. Der Baum offenbart sich einfach nicht oder ich kann ihn nicht wahrnehmen.

In solchen Phasen hilft mir nur eines - loslassen und den Baum "vergessen". Meist mache ich mir dann überhaupt keine Gedanken mehr über die weitere Gestaltung und pflege den Baum einfach nur.

Überraschenderweise kommt dann oft der Moment, an dem ich ganz plötzlich weiß, was nun zu tun ist. Vor einigen Tagen ging mir das so mit einer Hainbuche, für die ich einen Gestaltungsplan im Kopf hatte. Diese Buche hatte nach dem Rückschnitt und der Festlegung der Grundstruktur für die Äste im letzten Jahr große Probleme mit dem Austrieb. Es dauerte sehr lange, bis sie überhaupt trieb und dann bildeten sich auch nur an den Zweigenden Triebe. Ich wartete also den ganzen Sommer mit einem Rückschnitt, damit der Baum Zeit bekam, sich von den Strapazen zu erholen und ein wenig mehr Vitalität zu erlangen. In dieser Zeit schaute ich immer wieder ungeduldig, ob denn nicht ein paar Blätter näher am Stamm austreiben wollten, doch es geschah nichts derartiges. Nun war ich ziemlich ratlos, was ich mit diesen Trieben anfangen sollte.

Vor einigen Tagen fotografierte ich meine Bäume, um mein Archiv zu aktualisieren und diese Seiten zu überarbeiten. Dabei nahm ich auch die Hainbuche mit in die Werkstatt und stellte sie auf den Tisch. Plötzlich, beim Betrachten des Baumes fielen mir sehr viele Knospen ins Auge, die sich im Sommer gebildet hatten. Nun griff ich wie von selbst zur Schere und schnitt behutsam einige Triebe zurück. Dann überprüfte ich die Wirkung des Schnittes und ordnete die unteren Äste sanft mit der Hand. Dabei stellte ich fest, daß bereits eine kleine Korrektur der beiden unteren linken Äste genügte, um dem Baum eine ganz andere Wirkung zu verleihen. Ich drahtete also die Äste und war hinterher sehr zufrieden mit dem Resultat.

Was mir den ganzen Sommer über Probleme bereitet hatte, das löste sich nun in nicht einmal zehn Minuten Arbeit.

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Die Erfahrung aus diesem Beispiel besteht für mich (wieder einmal) darin, daß ich Bonsai nicht machen oder im Detail planen kann. Ich muss mich bei der Gestaltung der Bäume darauf verlassen, daß zur richtigen Zeit der richtige Einfall kommen wird. Das zu realisieren fällt schwer, weil ich mir dann eingestehen muss, daß ich im Grunde keine Kontrolle habe. Ich kann nicht steuern, sondern nur die Voraussetzungen schaffen, damit eine bestimmte Entwicklung stattfinden kann. Der Rest ist Intuition und Vertrauen.

Die weitere "Arbeit" auf dem Weg der Bonsaigestaltung besteht für mich darin, die Momente der Intuition immer besser zu spüren und diese Gelegenheiten der intensiven Wahrnehmung des Baumes für die Gestaltung zu nutzen. Wenn das gelingt, werden die Gestaltungsmaßnahmen immer besser auf den Baum abgestimmt und die Beziehung zwischen Baum und Gestalter wird sich vertiefen.

Diese Art der Arbeit heißt aber auch, immer mehr Abstand von vorausgeplanten Gestaltungskonzepten und  zu nehmen und sich statt dessen mehr auf den Baum und den Moment des Dialoges einzulassen. Es heißt, planendes Denken abzulegen und anstelle dessen Vertrauen zu entwickeln und ein feines Gespühr für die Momente der Intuition.

 

 

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